Marija Gimbutas
https://de.wikipedia.org/wiki/Marija_GimbutasMarija Gimbutas (* 23. Januar 1921 in Vilnius als Marija Birutė Alseikaitė; † 2. Februar 1994 in Los Angeles) war Prähistorikerin und Anthropologin. Sie studierte in Kaunas, Vilnius und Tübingen und promovierte dort 1946 über „Die Bestattung in Litauen in der vorgeschichtlichen Zeit“. Ihr wissenschaftlicher Hintergrund war interdisziplinär und umfasste Grundwissen in Linguistik, Ethnologie und Religionsgeschichte, was für eine Archäologin ungewöhnlich war. Sie wanderte 1949 in die USA aus. 1950 wurde Gimbutas wegen ihrer umfangreichen Kenntnisse europäischer Sprachen an die Harvard-Universität berufen. Gimbutas arbeitete 13 Jahre als Archäologie-Dozentin in Harvard und wurde zusätzlich Mitglied des Fachbereichs für Anthropologie.
Gimbutas war Leiterin von fünf großen Ausgrabungsprojekten im ehemaligen Jugoslawien, Griechenland und Italien. Diese Arbeit trug maßgeblich zu dem Verständnis des Neolithikums in einigen Teilen Europas und der kulturellen Entwicklung vor der indogermanischen Einwanderung bei. In Veröffentlichungen zwischen 1946 und 1971 führte sie den Begriff „Altes Europa“ ein. Außerdem prägte sie die zusammenfassende Bezeichnung „Kurgankultur“ für mehrere Kulturen der beginnenden Bronzezeit im südrussischen Steppenraum. Die Archäologin stellte 1956 ihre Kurgan-Hypothese bei einer internationalen Konferenz in Philadelphia vor. Mit dieser Theorie war sie die erste Gelehrte, die linguistisches und archäologisches Wissen zum Ursprung der Proto-Indogermanisch sprechenden Völker in Zusammenhang brachte. Dies hatte Auswirkungen auf die indogermanische Forschung. Ihre Kurgan-Hypothese gilt in ihrer ursprünglichen Form als überholt, wird jedoch ständig weiter entwickelt.
Gimbutas hat 20 Bücher und über 300 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht.
Theorien zur Kurgankultur und zum matrilinearen „Alteuropa“
Marija Gimbutas entwickelte die Kurganhypothese. Sie geht von der frühen Domestizierung der Pferde im äneolithischen Bereich zwischen Kaukasus, Wolga und Ural aus. Die dadurch entstehende hohe Mobilität habe zu kämpfenden Reiterhorden geführt, die patriarchalische Gesellschaftsformen hervorgebracht hätten. Im Osten des Alten Europa habe dagegen im Neolithikum eine zwischen den Geschlechtern ausgewogene (gynandric) matrilineare Gesellschaftsform vorgeherrscht. Deren Religion habe die Verehrung einer vielgestaltigen „Großen Göttin“ beinhaltet. Zwischen 4300 und 2800 v. Chr. seien die Indo-Europäer in verschiedenen Invasionszügen von Osten in das Dnjepr-Donez-Gebiet, die westliche Ukraine und die moldawische Steppe im unteren Donaugebiet eingedrungen, anschließend ins östliche Ungarn. Sie hätten die alte Agrarkultur unterwandert, sich als aristokratische Oberschicht etabliert und so einen Indogermanisierungsprozess eingeleitet. In der Folgezeit hätten sie das östliche Mitteleuropa und den Balkan bis Mazedonien unterworfen, im Norden die Trichterbecherkultur infiltriert, im Osten den Kaukasus überwunden und seien nach Aserbaidschan, Anatolien und in den Nordiran vorgestoßen. Diese Eroberung Europas durch die Kurgan-Kultur schlage sich archäologisch als Glockenbecher- und Schnurkeramik-Kultur nieder.
Gimbutas geht von einer Invasion der patriarchalen und patrilinearen Kurgankultur ins matrilinear organisierte, friedliche „Alteuropa“ aus. Die Wurzeln dieser Kurgankultur seien im 7.-6. Jahrtausend v. Chr. im mittleren und unteren Wolgaraum entstanden und könnten als „Proto-Indoeuropäisch“ angesehen werden. Die Grundlagen eines Weltbildes, in dem das mitteleuropäische Neolithikum von einer Religion der „Großen Göttin“ geleitet gewesen und anschließend von patrilinearen Horden kulturell überfremdet worden sei, wurden in ihrer archäologischen Datenbasis und ihrer erkenntnistheoretischen Grundlage in Frage gestellt. Der britische Archäologe Colin Renfrew vertritt dagegen in seiner sogenannten Anatolien-Hypothese, dass sich die Indogermanen mit der Neolithisierung aus Anatolien ausgebreitet hätten. Die Neuseeländer Gray und Atkinson behaupten dagegen,[5] diese Hypothese mit ihrer glottochronologischen Arbeit stützen zu können, was jedoch nicht unmittelbar aus der Rechnung hervorgeht.
Eine neuere Arbeit zur Ausbreitung der indogermanischen Sprachen stützt Teile der Kurganhypothese, wenn auch in abgeänderter Form, durch Erkenntnisse zur Domestikation von Pferden in Ost-Europa und zum Auftreten der Rad-und-Wagen-Technologie, lehnt jedoch die Invasionstheorie ab. Stattdessen seien teils längerfristige Kooperationsbeziehungen, teils eine Übernahme indoeuropäischer Institutionen ohne Eroberung oder ethnische "Überfremdung" nachweisbar. Nur in einem Fall gebe es Indizien für eine kriegerische Verdrängung.